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- Pflegegesetz & Pflegerecht
- 14.02.2021
Pflegegrade und die Pflegebedürftigkeit
Zum 1. Januar 2017 ist das zweite Pflegestärkungsgesetz in Kraft getreten und somit der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff gültig. Demnach ist ein Mensch pflegebedürftig, der bestimmte Tätigkeiten nicht mehr selbstständig erledigen kann und auf Hilfe anderer angewiesen ist. Dies gilt für Menschen mit geistigen oder psychischen Einschränkungen und Menschen, die körperlich beeinträchtigt sind.
Unter dem Neuen Begutachtungsassessment (abgekürzt: NBA) versteht man das neue Begutachtungsverfahren: Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) schätzt die Pflegebedürftigkeit eines Menschen ein und übernimmt die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade.
Bei dieser Untersuchung betrachtet der Gutachter sechs Lebensbereiche (Module) eines Menschen und vergibt für jedes Modul Punkte. Danach erfolgt die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade.
Antrag bei der Pflegekasse
Der Antrag auf Pflegegrad wird bei der Pflegekasse gestellt. Per Brief, E-Mail oder Fax genügt ein formloser Satz wie beispielsweise „Hiermit stelle ich einen Antrag auf Leistungen der Pflegekasse“. Der Antrag muss von der betroffenen Person selbst oder gegebenenfalls von ihrem gesetzlichen Betreuer unterschrieben werden. Im Fall einer Bevollmächtigung ist eine entsprechende Vollmacht erforderlich.
Wird der Antrag telefonisch gestellt, erhält man Unterlagen, darunter ein Formular, das ausgefüllt und unterschrieben an die Pflegekasse zurückgeschickt werden muss.
Begutachtung durch den Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK)
Nachdem der Antrag bei der Pflegekasse eingegangen ist, kündigt der regional zuständige MDK seinen Besuch zur Begutachtung an. Die Untersuchung findet grundsätzlich im Zuhause des Antragstellers statt und kann bis zu einer Stunde dauern.
Der Gutachter erfasst zunächst persönliche Daten des Antragstellers, zum Beispiel:
- Alter, Gewicht, Größe usw.
- Krankengeschichte
- aktuelle Medikamenteneinnahme und Dosierung
Das Punktesystem des Neuen Begutachtungsassessments (NBA)
Im nächsten Schritt ist der MDK-Mitarbeiter gefordert, die Selbstständigkeit und Fähigkeiten im Alltag einzuschätzen und nach einem Punktesystem zu bewerten. Dafür betrachtet er sechs Lebensbereiche (Module):
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Jedes der sechs Module beinhaltet verschiedene Kriterien, die jeweils mit null bis drei Punkten versehen werden. Dabei gilt das Prinzip: Je unselbstständiger der Gutachter einen Menschen einschätzt, desto höher fällt die Punktzahl aus. Wer zum Beispiel selbstständig Treppen steigen kann, erhält null Punkte. Ist jemand dabei auf Hilfe anderer angewiesen, bewertet der Gutachter das mit drei Punkten.
selbstständig | 0 Punkte |
überwiegend selbstständig | 1 Punkt |
überwiegend unselbstständig | 2 Punkte |
unselbstständig | 3 Punkte |
Die einzelnen Punkte werden addiert, wobei die Module unterschiedlich stark ins Gewicht fallen.
Modul 1 | Mobilität | 10 Prozent |
Modul 2 | Kognitive und kommunikative Fähigkeiten | 15 Prozent* |
Modul 3 | Verhaltensweisen und psychische Problemlagen | |
Modul 4 | Selbstversorgung | 40 Prozent |
Modul 5 | Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen | 20 Prozent |
Modul 6 | Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte | 15 Prozent |
* Bei Modul 2 und 3 geht nur der höhere Punktewert in die Berechnung ein.
Am Ende ergibt sich ein Gesamtpunktewert, von dem der Pflegegrad abgeleitet wird:
Pflegegrad 1 | 12,5 bis unter 27 Punkte |
Pflegegrad 2 | 27 bis unter 47,5 Punkte |
Pflegegrad 3 | 47,5 bis unter 70 Punkte |
Pflegegrad 4 | 70 bis unter 90 Punkte |
Pflegegrad 5 | 90 bis 100 Punkte |
Übersicht der Module
Modul 1: Mobilität
Im ersten Schritt untersucht der Gutachter die Bewegung. Wie gut kann der Antragsteller sich bewegen? Kann er selbstständig Treppen laufen?
selbstständig | 0 Punkte |
überwiegend selbstständig | 1 Punkt |
überwiegend unselbstständig | 2 Punkte |
unselbstständig | 3 Punkte |
Folgende Fähigkeiten werden bewertet:
- Positionswechsel im Bett
- Halten einer stabilen Sitzposition
- Umsetzen
- Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
- Treppensteigen
Modul 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Kann sich der Antragsteller noch an wesentliche Ereignisse erinnern? Erkennt er Risiken und Gefahren?
Fähigkeit vorhanden/unbeeinträchtigt | 0 Punkte |
Fähigkeit größtenteils vorhanden | 1 Punkt |
Fähigkeit in geringem Maß vorhanden | 2 Punkte |
Fähigkeit nicht vorhanden | 3 Punkte |
Nach diese und Kriterien bewertet der MDK-Mitarbeiter das Denken und Sprechen:
- Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld
- Örtliche Orientierung
- Zeitliche Orientierung
- Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen
- Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen
- Treffen von Entscheidungen im Alltag
- Verstehen von Sachverhalten und Informationen
- Erkennen von Risiken und Gefahren
- Mitteilen von elementaren Bedürfnissen
- Verstehen von Aufforderungen
- Beteiligen an einem Gespräch
Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Ist der Antragsteller oft wütend? Oder traurig und antriebslos? Bei dieser Untersuchung erfasst der Gutachter die Häufigkeit, in der die jeweiligen Verhaltensweisen auftreten.
nie oder selten | 0 Punkte |
selten (ein- bis dreimal innerhalb von zwei Wochen) | 1 Punkt |
häufig (zweimal bis mehrmals wöchentlich, aber nicht täglich) | 2 Punkte |
täglich | 3 Punkte |
- Motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten
- Nächtliche Unruhe
- Selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten
- Beschädigen von Gegenständen
- Physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen
- Verbale Aggression
- Andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten
- Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen
- Wahnvorstellungen
- Ängste
- Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage
- Sozial inadäquate Verhaltensweisen
- Sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen
Modul 4: Selbstversorgung
Wie selbstständig kann der Antragsteller sich selbst versorgen? Beispielweise sich allein duschen, an- und ausziehen. Bei der Erteilung eines Pflegegrades hat der Bereich Selbstversorgung mit 40 Prozent den größten Einfluss.
selbstständig | 0 Punkte |
überwiegend selbstständig | 1 Punkt |
überwiegend unselbstständig | 2 Punkte |
unselbstständig | 3 Punkte |
- Waschen des vorderen Oberkörpers
- Körperpflege im Bereich des Kopfes
- Waschen des Intimbereichs
- Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare
- An- und Auskleiden des Oberkörpers
- An- und Auskleiden des Unterkörpers
- Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken
- Essen
- Trinken
- Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls
- Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma
- Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma
Modul 5: Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
Wie kommt der Versicherte mit seiner Krankheit zurecht? Kann er Arztbesuche allein wahrnehmen? Der MDK-Gutachter untersucht auch den Umgang mit Krankheit und Medikamenten.
In diesem Modul werden die Kriterien, wie auch im Modul 3, anhand der Häufigkeit bewertet, in der die Maßnahme in Anspruch genommen werden muss. Jedoch erfolgt die Punktevergabe abhängig von der jeweiligen Maßnahme auf Basis einer monatlichen, wöchentlichen oder täglichen Häufigkeit.
- Medikation
- Injektionen (unter die Haut oder in einen Muskel)
- Versorgung intravenöser Zugänge (z.B. Port)
- Absaugen und Sauerstoffgabe
- Einreibungen oder Kälte- und Wärmeanwendungen
- Messung und Deutung von Körperzuständen wie Blutdruck, Blutzucker, Puls etc.
- Körpernahe Hilfsmittel
- Verbandswechsel und Wundversorgung
- Versorgung mit Stoma
- Regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden
- Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung
- Zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung
- Arztbesuche
- Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden)
- Zeitlich ausgedehnte Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (länger als drei Stunden)
- Einhaltung einer Diät und anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltens-vorschriften
Modul 6: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Wie gut kann der Antragsteller sich allein beschäftigen oder planen, was er tagsüber machen will? Mit anderen Menschen in Kontakt treten und den Tag planen stehen hier im Mittelpunkt.
selbstständig | 0 Punkte |
überwiegend selbstständig | 1 Punkt |
überwiegend unselbstständig | 2 Punkte |
unselbstständig | 3 Punkte |
- Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen
- Ruhen und Schlafen
- Sich beschäftigen
- Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen
- Interaktion mit Personen im direkten Kontakt
- Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds
Modul 7 und 8: Außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung
Diese beiden Module fließen nicht in die Berechnung des Pflegegrades ein, sondern dienen der Versorgung mit Hilfs- oder Pflegemitteln.
Bescheid der Pflegekasse
Nach der Untersuchung leitet der MDK das Gutachten an die Pflegekasse weiter, die die Einstufung in einen Pflegegrad bestimmt. Der Bescheid darüber mit einer Kopie des MDK-Gutachtens wird dem Antragsteller schriftlich zugestellt.
Widerspruch
Gegen den Bescheid der Pflegekasse kann Widerspruch eingelegt werden. Binnen welcher Frist und wie steht im Bescheid unter Rechtsbehelfsbelehrung.