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- Pflegegesetz & Pflegerecht
- 14.04.2021
Pflegestärkungsgesetze
Die in den Jahren 2015 bis 2017 eingeführten Pflegestärkungsgesetze (PSG) dienen dazu, die Situation von pflegebedürftigen Personen, Angehörigen, aber auch professionellen Pflegefachkräften zu verbessern. Vor allem die Situation demenzkranker Menschen, die in der Vergangenheit oft nicht ausreichend von Pflegeleistungen profitieren konnten, verbesserte sich durch die PSG.
Das Wichtigste in Kürze
- Die drei Pflegestärkungsgesetze führten zu einer Ausweitung des Leistungsangebotes der Pflegekassen und damit zu einer Entlastung pflegender Angehöriger.
- Besonders profitieren auch Demenzkranke und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen von der Umstrukturierung, die aufgrund der Fokussierung auf die Beurteilung der Selbstständigkeit Pflegebedürftiger künftig Anspruch auf weitere Leistungen haben.
- Die Ermittlung des Pflegegrades entsprechend des PSG II erfolgt durch den MDK bzw. MEDICPROOF anhand eines Kriterienkataloges, der in diesem Zuge als neues Begutachtungsinstrument eingeführt wurde.
Geschichte der Pflegestärkungsgesetze
Die drei Pflegestärkungsgesetze (PSG I bis III) ergänzen die im Jahr 1995 eingeführte Pflegeversicherung, das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz aus 2002 sowie das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz aus dem Jahr 2012. Notwendig wurde dies, um den gesetzlichen Rahmen an die Bedürfnisse aller Beteiligten anzupassen.
Die Pflegestärkungsgesetze wurden in drei Stufen eingeführt:
- PSG I (2015): Neuausrichtung der Pflegeunterstützung
- PSG II (2016): Einführung der Pflegegrade und eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes (in Kraft getreten zum 01.01.2017)
- PSG III (2017): Verbesserung der Pflege auf kommunaler Ebene, Verbindung von Pflegeleistungen und anderen pflegerelevanten Sozialleistungen
Inhalt der Pflegestärkungsgesetze
Jedes der drei PSG kennzeichnet sich durch einen anderen Schwerpunkt. Allgemein am bekanntesten ist hier wohl das PSG II mit der Neuformulierung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes und der Einführung der Pflegegrade. Doch auch die anderen beiden Stärkungsgesetze zeichnen sich durch wegweisende Inhalte aus.
Erstes Pflegestärkungsgesetz (PSG I)
Das PSG I erweitert die Leistungen sowohl für die Pflegebedürftigen selbst als auch für die Angehörigen. Das hatte im Rahmen der gesetzlichen Dynamisierung eine Erhöhung der Leistungen aus der Pflegeversicherung um vier Prozent zur Folge sowie die Aufstockung der Leistungen aus dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) für Personen der Pflegestufe 0, die erst zwei Jahre zuvor eingeführt worden waren. Hierfür wurden weite Teile des SGB XI geändert und die Paragrafen 131–139 komplett neu formuliert.
Darüber hinaus wurde der Betreuungsschlüssel in stationären Einrichtungen hinsichtlich der Betreuungskräfte (nicht der Pflegekräfte) erhöht. Ergänzende Betreuungsangebote für Alltagsbegleiter*innen stehen nunmehr allen Pflegebedürftigen in teil- und vollstationären Einrichtungen zu.
Für ambulante Wohngruppen hingegen verbesserten sich mit dem Gesetz die Leistungen für Menschen mit Pflegestufe 0. Diese erhalten jetzt einen Wohngruppenzuschlag und sie haben Anspruch auf eine Anschubfinanzierung von einmalig 2.500 Euro oder 10.000 Euro je Wohngruppe.
Leistungen aus der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege sowie eine Neuregelung der Tages- und Nachtpflege, die finanzielle Förderung von Umbaumaßnahmen und die Ausweitung von Betreuungsleistungen verbessern auch die ambulante Pflege im häuslichen Umfeld und entlasten pflegende Angehörige. Um den steigenden Bedarf zu decken, wurden deutschlandweit neue Einrichtungen und ambulante Pflegedienste geschaffen. Die Leistungen der Tages- und Nachtpflege werden nicht mehr auf das Pflegegeld angerechnet, dieses bleibt ungekürzt bestehen.
Finanzielle Unterstützung pflegender Angehöriger
Neben der Ausweitung der Leistungen durch die Pflegekasse erfolgte mit dem PSG I zudem eine Entlastung Angehöriger durch Maßnahmen, die das Erwerbsverhältnis tangieren:
- An maximal 10 Arbeitstagen besteht mit dem Pflegeunterstützungsgeld Anspruch auf eine Lohnersatzleistung. Dieses Recht ist unabhängig von der Unternehmensgröße und erleichtert vor allem die spontane Organisation der Pflege.
- Der Rechtsanspruch auf einen teilweisen oder vollständigen Ausstieg aus dem Job besteht weiterhin, wobei dieser erst ab Unternehmen mit 15 und mehr Beschäftigten gegeben ist. Um finanzielle Engpässe zu vermeiden, besteht die Option auf ein zinsloses Darlehen beim Bund.
- Mittels der Familienpflegezeit ist eine Verringerung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 15 Stunden für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren möglich. Dies gilt in der Regel bei Unternehmen ab 25 Beschäftigten, Auszubildende nicht eingerechnet.
- Eine teilweise oder vollständige Freistellung ist möglich bei der Betreuung minderjähriger Personen mit anerkanntem Pflegegrad sowie für maximal drei Monate, um Menschen in der letzten Lebensphase zu begleiten.
Finanzierung des PSG I
Finanziert wird das PSG I durch eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,3 Prozentpunkte, wovon zwei Drittel in die Optimierung der Leistungen, ein Drittel in einen Fonds fließen. Dieser Fonds dient dazu, in Zukunft Beitragssteigerungen abzufedern, wenn ab etwa 2035 die geburtenstarken Jahrgänge das Pflegealter erreichen.
Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II)
Das PSG II ist wohl das bekannteste der drei Pflegestärkungsgesetze, das gemeinhin auch als Pflegereform 2017 bekannt ist.
Aus Pflegestufen werden Pflegegrade
Im Jahr 2016 erfolgte eine Umstrukturierung der bisherigen drei Pflegestufen zugunsten von fünf Pflegegraden. Neu geschaffen wurde dabei der Pflegegrad 1 für Menschen, die noch weitgehend selbstständig sind.
In diesem Zusammenhang wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff erneuert, sodass der Fokus fortan auf der Beurteilung der Selbstständigkeit der pflegebedürftigen Personen liegt und auch Demenzkranke, die keine körperlichen Gebrechen haben, stärker berücksichtigt werden. Diese waren in der Vergangenheit oft der Pflegestufe 0 zugeordnet und hatten nur einen sehr punktuellen Anspruch auf Leistungen. Als pflegebedürftig gelten seitdem Menschen, die „gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten aufweisen und deshalb auf Hilfe durch andere angewiesen sind. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate bestehen.“
Leistungen der Pflegestufen bzw. -grade
Die meisten anspruchsberechtigten Menschen erhalten durch die Neustrukturierung höhere Leistungen. Aufgrund des Bestandsschutzes wurde zudem verhindert, dass einzelne Personen geringer eingestuft wurden und geringere Leistungen erhielten.
Pflegestufe | Pflege-grad | Pflegegeld 2016 | Pflegegeld ab 2017 | Sachleistung 2016 | Sachleistung ab 2017 |
– | 1 | Anspruch auf Beratungs-besuche, halbjährig | – | 125 € Entlastungs-betrag | |
I | 2 | 244 € | 316 € | 468 € | 689 € |
II | 3 | 458 € | 545 € | 1.144 € | 1.298 € |
III | 4 | 728 € | 728 € | 1.612 € | 1.612 € |
Härtefall | 5 | – | 901 € | 1.995 € | 1.995 € |
0 mit Demenz | 2 | 123 € | 316 € | 231 € | 689 € |
I mit Demenz | 3 | 316 € | 545 € | 689 € | 1.298 € |
II mit Demenz | 4 | 545 € | 728 € | 1.298 € | 1.612 € |
III mit Demenz | 5 | 728 € | 901 € | 1.612 € | 1.995 € |
Härtefall | 5 | 728 € | 901 € | 1.995 € | 1.995 € |
Beurteilung der Pflegebedürftigkeit durch den MDK
Im Zuge der Neubewertung der Pflegebedürftigkeit wurden für die Begutachtung durch den MDK sechs Kategorien eingeführt:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Die Beurteilung erfolgt anhand unterschiedlicher Kriterien, für die jeweils Punkte vergeben werden. Diese werden anschließend gewichtet und addiert und lassen sich so einem der Pflegegrade zuordnen.
Für Heime ist durch das PSG II ein vom Pflegegrad unabhängiger Eigenanteil für die Pflege vorgesehen. Hinzu kommen die Kosten für Unterbringung und Verpflegung sowie eine Investitionskostenpauschale, die durch die Versicherten selbst getragen wird.
Ein weiterer Punkt des PSG II ist die Ablösung der Pflegenoten zur Beurteilung von stationären Einrichtungen durch einen Pflege-TÜV, das auf einer Selbst- und Fremdevaluation basiert.
Erneut wurde zur Finanzierung der Beitragssatz zur Pflegeversicherung erhöht – dieses Mal um 0,2 Prozentpunkte. Und auch hier erfolgte eine tiefgreifende Veränderung des SGB XI.
Ambulant vor stationär
Die Anpassung der Leistungen kommt vor allem pflegenden Angehörigen zugute. Durch eine Ausweitung der Angebote der Tages- und Nachtpflege, Kurz- sowie Verhinderungspflege trägt der Gesetzgeber damit dem Umstand Rechnung, dass die Angehörigen einen wesentlichen Beitrag zur Pflege in Deutschland leisten. Da die Gefahr von Überlastung, Burn-out und Erschöpfung groß ist und gleichzeitig nicht selten finanzielle Einbußen durch eine verringerte Erwerbstätigkeit gegeben sind, wurden Entlastungsangebote geschaffen, die die Pflege Angehöriger attraktiver gestalten soll.
Damit legt der Gesetzgeber auch fest, dass ambulante Leistungen den stationären stets vorzuziehen sind – diese aber gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden, wenn es Bedarf dafür gibt.
Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG III)
Die dritte Stufe der PSG setzt die Pflegeleistungen aus der zweiten Stufe mit anderen pflegerelevanten Sozialleistungen in einen Bezug. Das gilt insbesondere auch für das gleichzeitig verabschiedete Bundesteilhabegesetz.
Menschen mit Beeinträchtigungen erhalten seit 2017 vorrangig Leistungen nach dem SGB XI und nicht nach der Eingliederungshilfe nach SGB IX. Sind sie dennoch weitgehend auf die Eingliederungshilfe angewiesen, tragen die Sozialhilfeträger (nicht die Pflegekasse) auch die Kosten für die häusliche Pflege. Bei der stationären Unterbringung haben Betroffene Anspruch auf Leistungen sowohl aus der Pflegeversicherung als auch der Eingliederungshilfe.
Ferner wird durch das Gesetz eine Verbesserung der Pflege auf kommunaler Ebene angestrebt. Das betrifft zum einen die Ausweitung der Beratungsangebote, die Unterstützung der Kommunen durch Personal- und Sachleistungen sowie den Ausgleich von Fördermitteln unter den Bundesländern. Geschuldet ist dies der Annahme, dass die Gemeinden den besten Überblick haben, um die Angebote vor Ort zu optimieren.
Die Befugnisse des MDK wurden ausgeweitet, sodass unangekündigte Kontrollen bei Pflegedienstleistern möglich sind, um z. B. Abrechnungsbetrug zu verringern.
Fazit
Die drei Pflegestärkungsgesetze haben einen wichtigen Beitrag geleistet, um vor allem auch Demenzkranke und andere Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Leistungsbezug zu integrieren sowie gleichzeitig Angehörige zu entlasten. Die Gesetze leisten dabei einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Pflegequalität im häuslichen wie auch stationären Umfeld.